“Kurze” Bösingfelder Schützengeschichte

Jochen Rath

Die Wurzeln: Fürsten, Fahnen und Fleckenschutz

Fahne aus dem Jahre 1814

Fahne aus dem Jahre 1814

Die Geschichte des Bösingfelder Schützenwesens vom ersten Viertel des 18. bis zum Ende des 19. Jahrhunderts war lange Zeit nahezu ausschließlich gegenständlich überliefert. Aktenrecherchen im Landesarchiv in Detmold und im Gemeindearchiv Extertal sowie Anfragen an das Landesarchiv in Hannover und Bückeburg blieben bislang ergebnislos, so dass zunächst allein zwei Schützenfahnen aus den Jahren 1779 und 1814 als Wegweiser dienten.

Moderne vereinsinterne Aufzeichnungen liefern dagegen nur einen indirekten Hinweis, da sie eine fragmentarisch überlieferte Fahne aus dem Jahr 1722 erwähnen, die angeblich die Aufschrift „Bürgerwehr Bösingfeld“ trug und somit die älteste Erwähnung eines organisierten Schützenwesens in Bösingfeld liefert. Dieses Fahnentuch ist inzwischen aber verschollen und auch ältere Aufnahmen der Schützenfeste vor 1936 lassen keine Schlüsse auf dessen Erscheinungsbild zu. Die beiden erhaltenen, gleichwohl stark beschädigten und restaurierungsbedürftigen Fahnen von 1779 und 1814 dienten bis in die 1960´er Jahre als Schützenfahnen, gerieten dann aber in den Fundus des geplanten, letztlich jedoch nicht realisierten Bösingfelder Heimatmuseums und damit auch in Vergessenheit, ehe sie 1991 wiederentdeckt und 1996 an das Lippische Landesmuseum Detmold abgegeben wurden.

Fahne aus dem Jahre 1779

Fahne aus dem Jahre 1722

Zwar liefert das Jahr 1722 demnach den ersten Hinweis auf die Existenz eines Bösingfelder Schützenwesen, jedoch sind ältere Traditionen eines letztlich wie auch immer organisierten Fleckenschutzes mehr als wahrscheinlich, da infolge des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) – vielleicht auch noch früher – die Einrichtung einer solchen polizeiähnlichen Organisation gegen Banden, marodierende Soldateska oder die zeitgenössisch als „gardende Knechte” bezeichneten Söldnergruppen ohne Dienstverhältnis nicht ungewöhnlich gewesen wäre. 1646 beispielsweise erhielten u.a. der Drost und der Amtsschreiber zu Sternberg aus Detmold die Anweisung, zehn Mann mit Gewehr, Hakenbüchsen und „Schüppen“ nach Lemgo gegen feindliche Kontingente zu entsenden. 1662 wiederum sollte der Sternberger Amtmann die mit Gewehren bewaffneten Untertanen im Rahmen des Landesausschusses gegen den Einfall der Truppen des münsterischen Fürstbischofs Christoph Bernhard von Galen zusammenstellen. Darüber hinaus erwähnen Rechnungen des Amtes Sternberg bereits 1591/92 eine Pulvermühle “uff der Bremcke” bei Bösingfeld, die 1626 in die Nähe des Fleckens verlegt wurde und dessen Besitzer Curt Möller Geschütz- und Musketenpulver dem vorkaufsberechtigten Grafen zur Lippe verkaufen sollte. Eher unwahrscheinlich erscheint dagegen eine Initiative zurückgekehrter Veteranen des Spanischen Erbfolgekrieges (1710-1714), in dem ein lippisches Bataillon unter dem Befehl Eugen von Savoyens am Rhein stationiert war. Ebenfalls möglich ist aber auch eine bloße Imitation älterer benachbarter Vereinigungen im damaligen Amt Sternberg, wie Alverdissen (1665 Freischießen, Gründung?) oder aufgrund der Erwähnung eines Schützenoffizierskorps 1719 am wahrscheinlichsten Barntrup (1598 Freischießen, 1719 organisiertes Schützenwesen).

Bösingfeld hatte in der Frühen Neuzeit wiederholt vernichtende Großbrände erlebte: 1632, 1700, 1721 und 1756. Es ist nicht auszuschließen, dass das Feuer von 1721, das 28 Häuser zerstörte und offenbarte, dass es keinerlei Brandbekämpfungsmittel gab, die Gründung einer Bürgerwehr initiierte, die eine Mischung aus Flecken- und Brandschutz darstellte.

Alte Gerichtsprotokolle erwähnen Schützen freilich deutlich früher. 1652 nämlich klagten die Vorsteher Bösingfelds gegen „etzliche Schützen“, die alkoholisiert im Ort herumgeschossen hatten, was leicht einen Brand hätte auslösen können, wie sich in Rischenau 1631 gezeigt hatte, wo nach einem Schuss aus einer Luntenschlossmuskete gleich 50 Häuser abbrannten. Die Protokolle erwähnen danach immer wieder Schützen, die Beschuldigte oder Straftäter bewachen sollten und diese entkommen ließen. In anderen Fällen wurden sie bei Streitschlichtungen hinzugezogen.

Eine weitere interessante Erwähnung von Bösingfelder Schützen datiert von 1732 – und zwar im Zusammenhang mit einer dramatischen Geschichte, die der Iggenhausener Amtmann Anton Henrich Küster in seinem „Diarium Lippiacum“ niederschrieb, allerdings ist diese Passage schwer lesbar: Im Wirtshaus in Bösingfeld stahl ein den Einwohnern offensichtlich nicht unbekannter Gast einem jungen Mann in der Nacht vom 24. auf den 25. Januar 1732 die stattliche Summe von 40 Reichstalern („practiciert ihm das Geld aus der Taschen“). Der vom Diebstahl unterrichtete Gastwirt informierte umgehend den örtlichen Richter, „der dem Kerl gleich einige Schützen nachschicket, welche ihn einholen und wieder ins Wirtshaus zur Verwahrung bringen.“ Freilich legten die Schützen nicht die notwendige Aufmerksamkeit an den Tag, denn der reumütige Dieb nutzte einen unbeobachteten Augenblick für einen Suizidversuch mit seinem Messer. Immerhin gelang es der nunmehr alarmierten Wache, „ihn vom ferneren Schneiden“ abzuhalten – der Delinquent überlebte, die Schützen sind damit auch als Lebensretter in die Geschichte des Fleckens eingegangen.

Stich der Burg Sternberg

Die älteste erhaltene Schützenfahne von 1779 stammt aus der Zeit der Verpfändung des lippischen Amtes Sternberg an Kurhannover (1733-1781) und trägt mit der entsprechenden Jahreszahl, den Initialen „B.S.E.“ auch den Sternberger Stern und zeigt damit die vorrangig sternbergische Identität der Bürger Bösingfelds an, die sich damit wohl in erster Linie Bewohner ihres Fleckens und Amtes verstanden und womöglich wegen der nicht eindeutigen staatsrechtlichen Situation zwischen Lippe und Kurhannover auf eine vielleicht politisch brisante Loyalitätsbekundung durch das Zeigen einer lippischen Rose oder der welfischen Wappen verzichteten. Das Kürzel „B.S.E.“ dagegen kann eventuell mit „Bösingfelder Schützen Einung“ oder „Bürger Schützen Einigung“ aufgelöst werden. Liest man dagegen „B.S.F.“ kann es sich um eine Abkürzung für „Bösingfeld“ handeln oder vielleicht sogar Bösingfelder Schützen- und Feuerwehr.

Ursprünglich keine echte Schützenfahne dagegen war das zweite erhaltende Fahnentuch, das 1814 dem „Landsturm zu Bösingfeld“ verliehen wurde. Eine lippische Rose und ein aufgemaltes „P“ auf einer mit Blumenornamentik umgebenen blauen Emblemscheibe verweisen auf die Stifterin Fürstin Pauline zur Lippe (1802-1820), die keinem geringeren als Napoleon selbst mit diplomatischem Geschick, vielleicht auch von einer Laune des Kaisers profitierend, die Fortexistenz des Fürstentums Lippe abtrotzte, während zahlreiche andere Kleinstaaten später im Königreich Westphalen aufgingen. 1807 trat sie dem Rheinbund bei und stellte Napoleon als Regentin eines souveränen Staates lippische Soldaten für dessen Feldzüge in Tirol, Spanien und Russland zur Verfügung. Nach dem französischen Desaster des Russlandfeldzuges (1812) und der Völkerschlacht bei Leipzig (1813) wechselte sie schnell die Fronten und trat der Koalition bei, die schließlich 1815 den Kaiser niederrang.

Nach preußischem Vorbild schuf die Fürstin am 31. Januar 1814 den Landsturm, ein auf den Kriegsfall beschränktes Aufgebot aller wehrfähigen Männer zwischen 17 und 60 Jahren, das in Bösingfeld wie in allen anderen Städten und Flecken unter dem Kommando des Bürgermeisters stand. Zunächst ausgerüstet mit Heugabeln, Sensen, Spaten und Äxten, wurde später einheitlich die Pike vorgeschrieben. Wo bereits Schützenkompanien existierten, so demnach vielleicht auch in Bösingfeld, durfte eine gesonderte Abteilung mit Gewehren aufgestellt werden. Letztlich blieb das lokale Aufgebot auf die unmittelbare Orts- und Landessicherung beschränkt und war mehr Polizeiorgan als militärische Einheit.

 Der Festverein

Erst für 1899 ist das erste Schützenfest und damit auch das erste Regentenpaar der Bösingfelder Schützen überliefert, ohne das der konkrete Übergang zu einer geselligen Vereinigung dokumentiert oder ein regulärer Verein gegründet wurde. Dem gemeinsam mit Sophie Amelung zwischen 1901 und 1906 als Schützenkönig amtierenden Schmiedemeister Heinrich Kenter blieb es vorbehalten, das Brustschild der Königskette zu stiften, das noch heute getragen wird und dessen im Gemeindearchiv Extertal in Bösingfeld aufbewahrte Stiftungsurkunde das bislang älteste bekannte schriftliche Dokument zur Bösingfelder Schützengeschichte ist.

Komitee und Thron 1906

Gruppenbild aus 1914

Schützenfeste wurden danach 1910 und 1914, letzteres nur vier Wochen vor dem Ausbruch des 1. Weltkrieges, gefeiert. Nach den Krisen des 1. Weltkrieges und der Inflation feierten die Bösingfelder erst 1927 wieder ein Schützenfest, dem 1931 und 1936 weitere folgten. Aus dem Jahr 1936 sind umfangreiche Sitzungsprotokolle erhalten, die die Vorbereitungen erstmals ausführlich dokumentieren. 269 Schützen nahmen damals am Königsschießen beim Haus „Waldfrieden” (heute Töpferei Brockmann) teil.

Ende im Dritten Reich und Neubeginn 1952

Dieses Schützenfest hatte allerdings ein Nachspiel: der Deutsche Schützenbund, Gau Westfalen adressierte Ende 1936 ein Schreiben an den Ortsbürgermeister Bösingfelds und den damaligen Vorsitzenden des Festkomitees Theodor Held, dass der Reichssportleiter Schützenfeste und Schießveranstaltungen nur im Rahmen organisierter und eingetragener Vereine gestatte. In einem Schriftwechsel charakterisierte der Bürgermeister das örtliche Schützenwesen wie folgt: „Wenn in Abständen von mehreren Jahren hier ein Schützenfest gefeiert werden soll, dann setzt sich dafür frei ein Vorbereitungsausschuß jedesmal neu zusammen. Eine Schützengesellschaft wird daraus nicht gebildet.“. Ein echter Verein existierte seinerzeit – und schließlich auch bis 1961/64 – also nicht und wurde auch nicht gegründet, so dass nach 1936 vorerst keine Schützenfeste mehr gefeiert wurde – der gleichgeschaltete NS-Staat hielt für unorganisierte Gesellschaften schlechterdings kaum Nischen offen.

Erst 1950 fanden sich unter dem späteren Oberst und Präsidenten Wilhelm Brandt Interessenten zusammen und im Dezember 1951 tagte erstmals ein mit den Schützenfestvorbereitungen betrauter Ausschuss, darunter auch (Alt)Bürgermeister Heinrich Senke und Gemeindedirektor Siegfried Helbich. Am 12. Juli 1952 war es schließlich soweit: Hans Zuleger und Lieschen Hübner traten als erste Majestäten nach dem Zweiten Weltkrieg ihre zweijährige Regentschaft an. Hans Zuleger, der als „Sonnenkönig“ in die Vereinsgeschichte einging und später als Oberst und Vorsitzender amtierte, hatte sich beim Königsschießen auf dem Sportplatz an der Mittelstraße durchgesetzt.

 Schützenfeste 

Höhepunkt des seitdem bis auf wenige Ausnahmen alle zwei Jahre gefeierten, viertägigen Schützenfestes, das als das größte Volksfest im Extertal gilt, ist der sonntägliche Umzug durch den Ortskern. Aufgelockert wurden diese Umzüge durch phantasievolle Festwagen – so eine Zeppelinattrappe (1910!), eine selbstgebastelte Weltraumrakete (1959), ein römischer Streitwagen oder das trojanische Pferd (1979) – und natürlich die Bösingfelder Schützenoriginale. Hier erinnert man sich gern an Julius Budde, der als Preußenkönig Friedrich II. verkleidet die Schützenreihen in „fritzischer“ Manier inspizierte ebenso wie der Marketenderinnen Ingrid Zuleger und Änne Riekhof, des „Hauptmanns von Bock“ alias Hanns Heinz Kurz, „Verbindungsoffiziers“ Klaus Grade und Rudolf „Quax von Seifenschaum“ Dubberts.

Julius Budde 1961

 Der moderne Verein

Am 8. August 1961 schließlich fand in Bösingfeld der konkrete Übergang von der in der volkskundlichen Forschung inzwischen als „Festverein“ bezeichneten lockeren, ausschließlich für die Organisation eines Schützenfests zusammentretenden Gemeinschaft zu einem echten Verein statt, der 1964 als „Schützengesellschaft Bösingfeld“ beim Amtsgericht Alverdissen in die Vereinsregisterrolle eingetragen wurde und 1967 seine gegenwärtige Vereinsfahne erhielt. Seit 1975 wird wieder regelmäßig der Titel eines Jungschützenkönigs vergeben und 1980 richtete der Verein eine Damenkompanie ein.

1997 feierte die Schützengesellschaft das 275-jährige Bestehen eines Schützenwesens in Bösingfeld mit einem bunten Jubiläumsfestumzug, der mit kostümierten Gruppen Einblicke in die Schützengeschichte gewährte und mehr als 1.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zählte.

Im Jubiläumsjahr 2022 präsentiert sich das in vier Kompanien aufgeteilte Bataillon unter der Leitung von Präsident Lutz Brakemeier und unter dem Kommando von Oberst Stefan Korbach mit 500 Mitgliedern einschließlich einer Jugendabteilung und einer Bogenschießgruppe.

6fest1997

Königsschießen und Schießsport

Nachdem das Königsschießen früher an den Eichen, am Haus „Waldfrieden“ und auf dem alten Sportplatz an der Mittelstraße abgehalten wurden, fanden die Schützen 1957 an der Waldstraße endlich ein dauerhaftes Domizil, das seitdem Schauplatz des alle zwei Jahre mit Spannung erwarteten Königsschießens ist. Nach dem Brand der 1963 errichteten Schießbaracke im März 1969 modernisierten die Vereinsmitglieder 1975, 1985, 1998/99 und 2020/21 in Eigenleistung und mit enormem Engagement ihren Schießstand, der heute über fünf Kleinkaliber-, fünf Sportpistolen- und acht Luftgewehrstände verfügt.

Die Throninsignien // Die Schützenkette

Dem gemeinsam mit Sophie Amelung zwischen 1901 und 1906 als Schützenkönig amtierenden Schmiedemeister Heinrich Kenter blieb es vorbehalten, das Brustschild der Königskette 1906 zu stiften, das noch heute getragen wird. Seit jenem Schützenfest ist es Brauch, dass die Königspaare die Königskette durch eine gravierte Plakette ergänzen.

Das Diadem/Die Krone

Die amtierende Schützenkönigin trug zunächst einen Blumenkranz oder ein Diadem. Seit 1971 schmückt eine feine Krone das königliche Haupt.

Die Schärpen

Sowohl der König als auch die Königin tragen grüne Schärpen.